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An(ge)dacht: Die Zeit für eine Stunde anhalten

Am Wochenende werden die Uhren auf Winterzeit umgestellt. Superintendentin Jutta Walber hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Chancen diese zusätzliche Zeit bietet und kommt zum Schluss Die Zeit nicht nur vertreiben, sondern mit Leben füllen!

An diesem Wochenende dürfen wir die Zeit anhalten. Grund ist: Wir werden unsere Zeitmessung umstellen auf die Winterzeit. Warum nicht diese Stunde nutzen, um wirklich einmal inne zu halten? Die eigene Lebenszeit in den Blick nehmen - nicht nur die Zeitmessung - sondern auch sich selbst neu ausrichten. Fragen zulassen, das Leben neu als Geschenk entdecken und spüren: Das ist meine Zeit, ich darf sie gestalten. Meistens sind es einschneidende Erfahrungen, die uns zwingen zu einer solchen Umorientierung. Erlebnisse, die uns deutlich machen: meine, unsere Zeit ist begrenzt. Ein lieber Mensch ist oder ich selbst bin plötzlich schwer erkrankt. Der Lebensplan, der gesamte Alltag ist in Frage gestellt. Vielleicht ist es aber auch nur die Erkenntnis: Ich gestalte meine Zeit gar nicht wirklich – vielmehr werde ich getrieben von Termin zu Termin, von Meeting zu Meeting und manchmal weiß ich wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Die Zeit für eine Stunde anhalten, eine Chance, sich neu zu orientieren. Statt Zeitumstellung vielleicht eine tiefgreifende Umstellung unserer Zeitmessung? Was bestimmt meine Zeit? Nehme ich mir Raum für eine andere Dimension, die meinen Geist öffnet und meinen Sinn erdet?

Vielleicht die Lektüre eines guten Buchs, die Buchmesse ist schließlich gerade zu Ende. Oder einfach nur ein Spaziergang im Herbstwald oder ein Gottesdienstbesuch, ein Treffen mit einer guten Freundin. Auch die gemeinsame Zeit mit den Menschen, die wir lieben, ist begrenzt, umso intensiver sollten wir sie nutzen. Zeit nicht vertreiben, sondern füllen mit Leben! Mir wird immer wieder bewusst, wie wertvoll die Zeit ist, die uns gemeinsam geschenkt ist, wenn ich Menschen begleite, die trauern. Bei der Begleitung von Menschen, die einen schweren Schicksalsschlag verkraften müssen oder sich mit dem eigenen Sterben konfrontiert sehen. Dann stelle ich mir die Frage: Was ist wesentlich für mich, was macht mein Leben wertvoll? Oft stelle ich dann fest, es sind nicht die großen Erfolge, die besonderen Reiseziele oder das was ich mir immer schon einmal leisten wollte. Es sind die kleinen unscheinbaren Entdeckungen. Der Pilz im Wald, ein buntes Herbstblatt, vor allem aber die Liebe, die ich schenken darf und die mir geschenkt wird. Wir dürfen die Zeit anhalten, uns eine Stunde schenken lassen zur Besinnung, zum Atem holen oder einfach zum Dasein. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Zeit.

Jutta Walber, Superintendentin im Kirchenkreis Obere-Nahe