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An(ge)dacht: Meine Sicht muss nicht immer die richtige sein

"Brennholzverleih" - über dieses Schild ist Pfarrerin Ira Köhler gedanklich gestolpert. Zunächst findet sie die Idee absurd und beginnt dann ihre täglichen Urteile zu überdenken.

Was würden Sie denken, wenn Sie an einem Laden ein Schild mit der Aufschrift „Brennholzverleih“ sähen? Mir käme das erstmal spanisch vor! Brennholz verleihen?! Das macht doch keinen Sinn, das kann man doch gar nicht zurückbekommen. Aber dann habe ich mal weitergedacht. Vielleicht gibt es ja Menschen, die Asche sammeln? Man verleiht Holz und bekommt die Asche zurück. Oder vielleicht werden die Holzscheite ja als Dekoobjekte verliehen, weil es Menschen gibt, die ihre Hauswand eine Zeitlang damit dekorieren wollen.

Meine Überlegungen machen mir deutlich: Mein Sicht auf Dinge muss nicht immer die richtige sein. Jeden Tag fälle ich Urteile. Gut. Böse. Richtig. Falsch. Lustig. Langweilig. Hübsch. Hässlich. Und so weiter. Ich entscheide stets aus meiner Sicht. Und das ist auch erst einmal wichtig und richtig. Schwierig wird es erst, wenn ich meine Wahrnehmung zur Wahrheit für alle mache. Nur weil ich einen Menschen nicht so hübsch finde oder er mir unsympathisch ist, heißt das ja nicht, das andere das auch so sehen. Deshalb ist es nicht okay, wenn ich mein Urteil absolut setze, oder das Urteil eines anderen einfach übernehme, ohne es selbst zu prüfen.

Jesus gibt mir da eine klare Warnung mit: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn so wie ihr über andere urteilt, wird man auch euch beurteilen, und das Maß, mit dem ihr bei anderen messt, wird auch euch zugemessen werden (Matthäus 7,1-2). Nicht vorschnell Urteile über andere fällen ist also ein Gebot, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat.

Aber wenn jemand Mist baut, dann muss ich das doch sagen dürfen, oder?! Natürlich. Auch hierzu hat Jesus einen guten Rat für mich: Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und stell ihn unter vier Augen zur Rede (Matthäus 18,15). Jesus fordert uns also ausdrücklich auf, denjenigen, der einen Fehler gemacht hat, darauf anzusprechen. Aber nicht vor versammelter Mannschaft, sondern allein. Damit der andere es auch nehmen kann, damit er offen bleiben kann für die Kritik. Und damit er das Gesicht wahren kann. Das geht ganz analog, selbst bei 1,5 Metern Abstand, aber auch bei Facebook und Co. Also: Wenn ich das nächste Mal am Schild „Brennholzverleih“ vorbeikomme, dann behalte ich meine Gedanken entweder für mich oder ich gehe rein und frage nach, was denn eine Stunde Holz so kostet.

Ira Köhler

Pfarrerin in den Ev. Kirchengemeinden Nohen und Birkenfeld