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Nachrichtenarchiv

Arbeiten – wofür?

Arbeit: ein Begriff, der die unterschiedlichsten Vorstellungen und Emotionen auslöst! Sicher haben auch Sie/hast auch Du schon so manches Mal über den Wert der Arbeit nachgedacht.

Uns kommt die bekannte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll in den Sinn.

Ein Tourist trifft an einer europäischen Küste auf einen in seinem Boot schlafenden, ärmlich gekleideten Fischer und will ihn fotografieren. Dadurch wacht der Fischer auf. Als der Tourist den Fischer nach dem Fang befragt, erfährt er, dass dieser mit der Tagesausbeute zufrieden ist und nicht mehr aufs Meer hinausfahren wird. Der Tourist will wissen, wieso der Fischer angesichts der guten Bedingungen nicht mehr arbeitet und ein florierendes Fischfang-Unternehmen aufbaut. Dadurch würde er sich finanziell verbessern und könne sich früh zur Ruhe setzen. Daraufhin erwidert der Fischer, dass er das ja jetzt schon könne! Der Tourist begreift, dass man auch mit einem geringen Verdienst glücklich sein kann und beneidet den Fischer um dessen Zufriedenheit.

Böll schrieb die ironische Anekdote schon 1963, in der Hochphase der deutschen Wirtschaftswunderzeit. Er stellt die gewinnorientierte Arbeitshaltung des wohlhabenden (zu dieser Zeit noch seltenen) Auslandstouristen den Werten des Fischers gegenüber, der ein sorgloses – ja geradezu faules – Leben führt. Ironischerweise beneidet der im materiellen Sinne reiche Tourist am Ende den armen Fischer um dessen Lebenszufriedenheit. Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu leben? Das scheint uns Böll zu fragen und mit dem provozierenden Titel gleichzeitig die Richtung vorzugeben.

Gibt es wirklich nur Tourist oder Fischer?

Angenommen der Tourist würde „aussteigen“, sich ein Boot kaufen und seinerseits Fischer werden. Was von seiner „alten“ Arbeitswelt würde er vielleicht vermissen? Nach vielen produktiven, engagierten Jahren wird er die reduzierte Arbeitszeit sicher als Entlastung empfinden und sich über das Mehr an Zeit, Muße und Selbstbestimmung freuen. Aber wird das Gefühl anhalten? Vielleicht wird ihm nach einer Zeit langweilig, weil sein Verdienst nur wenig Möglichkeiten zur Gestaltung seiner vielen Freizeit zulässt. Wird er ohne die Intensität der Arbeit vorher seine Freizeit überhaupt noch richtig genießen können? Und wie wird sich die neue Situation auf sein Selbstwertgefühl auswirken? War es vielleicht doch schön, Arbeitskolleg*innen zu haben, gemeinsam etwas zu stemmen, vom Team gebraucht zu werden, anerkannt zu sein? Was, wenn er für seinen früheren Beruf mehr Talent hatte als fürs Fische fangen?

Kann es auch sein, dass der Fischer trotz seiner offensichtlichen Lebenszufriedenheit etwas vermisst? Vielleicht den Stolz auf eine besondere Leistung, das Hochgefühl nach einer gemeisterten Herausforderung, die Neugier auf die Welt?

Der Wert der Arbeit, so halten wir fest, ist subjektiv, facettenreich und veränderlich. Wie wichtig eine Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen für den Erfolg eines Unternehmens ist, wird heute zunehmend erkannt und unter den Schlagwörtern „Work-Life-Balance“, „New Work“, „Generation Z“ etc.  öffentlich thematisiert. Das ist richtig und wichtig!

Arbeiten wofür? Für uns ist die Antwort klar: Arbeit hat einen Wert an sich. Im Kirchenkreis Obere Nahe arbeiten wir immer weiter daran, dass die vielen Nuancen, die Arbeit für Sie, Dich und uns haben kann, möglichst gut erkannt und erfüllt werden – vom Teamgeist über die Sinnstiftung bis hin zur Karriere, in der Verwaltung, Seelsorge oder Kita, als Festanstellung oder im Ehrenamt …

 

Schatzkiste

Eine ganz besondere Form der literarischen „Arbeit“ findet sich in der heutigen Schatzkiste:

Julius, der Protagonist in Teju Coles Romans „Open City“ (deutscher Titel) durchstreift als Ausgleich zu seiner Tätigkeit als Psychiater die Straßen New Yorks – allein, ohne Ziel und mit sehr viel Muße. Was aus seinen Spaziergängen (durch sicher sehr viel Schreib-„Arbeit“) entsteht, ist eine vielschichtige, bewegt erzählte „Geschichtsstunde“, die einen weiten Bogen zwischen Musik, Architektur, Malerei, Psychologie, Geschichte und persönlichen Schicksalen von Menschen mit jüdischem, hispanischem, europäischem oder afrikanischem Hintergrund spannt, und darüber hinaus die verborgene Gegenwart New Yorks aufdeckt.

Der amerikanisch-nigerianische Autor Teju Cole wurde für seinen Debütroman, der ganz ohne Handlung auskommt, international gefeiert. Er erzähle eine Geschichte von Erinnerung, Entwurzelung und der erlösenden Kraft der Kunst, kommentiert der Suhrkamp Verlag die deutsche Ausgabe.


Und wenn Sie oder Dir jetzt nach Arbeit bei uns zumute ist, hier geht’s zu unseren offenen Stellen:

Es grüßen herzlich

Ihre/Deine

Jutta Walber & Sascha Heidrich