Offenbach. Der Innenraum der Abteikirche in Offenbach-Hundheim umfing die Schar von über Hundert Besuchern mit warmem, rotem Licht. Zu den sanften, wehmütigen Klängen des Bandoneons (Norbert Kotzan) nahmen die Mitglieder des großen Chors ihre Plätze im Altarraum ein. Der „Tango to Evora“ von Loreena McKennit, zunächst solistisch von Andrea Sihler zur Klavier- und Bandoneon-Begleitung gesungen, dann vom Chor und dem kleinen Orchester (Kammerphilharmonie Mannheim) übernommen und in die Mehrstimmigkeit geführt, sorgte für die ersten Gänsehaut-Momente.
Mit klugen dramaturgischen Einfällen sorgte der Initiator, Kreiskantor Christian Kurtzahn, für viele spannende Momente, wie zum Beispiel mit der Visualisierung der Musik. Die junge, zunächst in Schwarz und Rot gekleidete Tänzerin (Georgia Rapti) verlieh mit ihren fließenden Bewegungen der Musik Leichtigkeit. „Ich fühlte mich umhüllt von Klang, losgelöst von Erdenschwere“, so drückte es eine Zuschauerin aus. Zum mitreißenden Tango „La Cumparsita“, ebenfalls vierstimmig gesetzt, durfte natürlich der Tanz nicht fehlen. In Frack und Ballkleid schwebten Beate und Heinz-Otto Saar durch den Gang. Einige Zuschauer beklagten sich allerdings über die eingeschränkte Sicht auf die Tanzenden. Das war aber ein geringer Makel, denn die allermeisten ließen sich von dem Gesamtkonzept aus Klang und Bewegung einfangen.
Die volle Sinnlichkeit entfaltete sich bei Consuelo Velaquez' berühmtem „Besame mucho“ aus dem Jahr 1936. Die Sopranistin Theresia Aranowski interpretierte das Lied mit großer Intensität zu Kurtzahns Klavierbegleitung und einem Teppich von Streicherklängen. Und immer wieder das Bandoneon, Symbol für die Welt dieses argentinischen Tanzes. Leroy Anderson hatte seinen „Blue Tango“ als Instrumentalstück komponiert, der Text wurde später hinzugefügt. Die Kantorei Idar-Oberstein/Obere Nahe interpretierte das gefühlvolle Liebeslied mit Emphase und einem Augenzwinkern.
Mit warmer tiefer Bassstimme sang Max Viellehner die Strophen des in Finnland berühmten Tangos „Satumaa“, „Märchenland“, der Chor stimmte in den Refrain ein. Während der ersten halben Stunde hatte das Publikum die bekannte weltliche Seite des Tangos genießen können. Mit dem Hauptwerk des Abends, der Misa a Buenos Aires, ging der argentinische Komponist Martin Palmeri einen neuen Weg. Er verband das Ordinarium der katholischen Messe, also Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei, mit den verschiedensten Rhythmen des ihm so vertrauten Tango. So entstand ein überaus packendes sakrales Werk, das die wesentlichen Elemente des Tanzes, Rebellion und Sinnlichkeit, mit der Liturgie zusammenführt. Das Ensemble stellte sich der Herausforderung mit Überzeugungskraft und hinterließ beim Publikum tiefe Eindrücke. „Ich bin überwältigt, ja sprachlos“, bekannte ein Gast beim Herauskommen. Andere fanden, der Weg zum Konzert habe sich gelohnt. Die letzten Worte die sie gehört hatten, waren die Bitte um Frieden. Palmeri hat sie in vielfachen, durch die Stimmen wandernden Wiederholungen vertont, bis schließlich „pacem“ lange gehalten wird und dann auf dem Ton c verhallt. Im ausgezeichnet gestalteten Programmheft (Sabine Theis-Schneider) endet ein Beitrag von Dr. Gabriele Werle mit dem Appell: „Tango. Für den Frieden! Darauf richtete Kurtzahn seine schier unerschöpfliche Energie. Es gab zu Recht stehende Ovationen, nicht zuletzt für den zweiten hervorragenden Pianisten, Thomas Layes. Für alle, die auf den Geschmack gekommen sind, und solche, die die „Misa a Buenos Aires“ und die anderen Tangos noch einmal erleben möchten, bietet sich die Gelegenheit am 22. September im Idar-Obersteiner Stadttheater.
Jutta Gerhold